2009/12/23

Die Trauer der Anderen
Dresden:
Das Pförtnerhäuschen der Florian Geier Straße 48 ist nicht besetzt. Presse und Polizei sind abgerückt. Nur die versiegelte Tür im achten Stock erinnert daran, dass hier am Mittwoch ein junges Mädchen erdrosselt wurde. Das Treppenhaus ist menschenleer. Während im Foyer des St. Benno Gymnasiums Kerzen und Gedichte der Trauer Ausdruck verleihen und sich Seelsorger um die traumatisierten Mitschüler des 18 Jährigen Opfers kümmern, liegt vor der Wohnungstür 803 eine einzelne weiße Rose. Hier wurde in den Morgenstunden des 16. Dezembers die Leiche ,von Susanna H. entdeckt. Die Polizei fahndet derzeit nach dem Hauptverdächtigen Freund der Abiturientin, Hausbewohner Raza S.
Wie jeden Freitag trifft sich die „Ökumenische Kontaktgruppe Asyl“ um Migranten bei Behördengängen zu unterstützen. Die junge Studentin gießt Tee auf und blättert in den Protokollen der letzten Beratungsgespräche. Es ist wahrscheinlich, dass der Täter ein Klient war. Der Beratungsraum der Kontaktgruppe liegt im schmutzigen Kellergeschoss des Plattenbaus. Einige Hausbewohner drücken sich an der hölzernen Tür vorbei, grüßen verstohlen und verschwinden dann im Aufzug. Ein großer Mann Mitte dreißig bleib etwas unsicher stehen. Herr A. kommt aus Libyen und ist seit vier Monaten in Deutschland. Er kann ein Wort in seinem arabischen Wörterbuch nicht finden und bittet um Übersetzung. Es geht um Feinheiten der deutsche Grammatik und dann um den Tod des jungen Mädchens . Er vermischt immer wider englische und deutsche Wortfetzen. Das Gepräch stockt, bis die Studentin vorsichtig fragt ob er Mittwoch zuhause war. Das schüchterne Lächeln verschwindet aus dem Gesicht des Mannes. Mit leeren Augen starrt auf die Kinderbilder an der sonst schmucklosen Wand. Er wirkt zutiefst betroffen, eine Barriere bricht und er erzählt immer mehr. Er sei zuhause gewesen und wohne im Stockwerk drüber. Das sei schrecklich, eine Katastrophe. Er habe geschlafen und Nichts hören können. Erst die Polizei habe ihm am morgen geweckt und fragen gestellt. Er habe erst gar nicht verstanden und dann seien sie auch schon wieder fort gewesen. Scheinbar kann er seitdem zum ersten mal mit jemandem über das Geschehene reden, erzählen wie er sich fühlt. Angst habe er nicht, nur Sorge, was die Leute denken werden, weil vor allem Obdachlose und Asylbewerber das Heim bewohnen . Er blickt vor sich auf den Boden. „Das allein sein macht die Leute verrückt“.
Um 17 Uhr schließt die Beratungsstelle. Außer Herr A. kam keiner mehr. Die junge Studentin klopft noch mal an einer Wohnungstür um nach einer Familien mit drei Kindern zu sehen aber niemand macht auf. In dem zehnstöckigen Gebäude ist es still. Im St. Benno Gymnasium gedenken Schüler, Eltern und Lehrer gemeinsam dem jungen Mädchen und versuchen die schreckliche Tat zu verarbeiten. Die Bewohner der Florian Geier Straße 48 bleiben für sich allein.