2010/05/30

Indiepop in guter Stube

Konzerthäuser der Stadt IV: Der Ostpol.

 

„Bevor wir hier jedes Wochenende Technopartys veranstalten müssen, brennen wir den Laden lieber nieder.“

 Liebe zum Detail wird eben schnell zur Obsession. Das war bei Omis Häkeldeckchen nicht anders. In der Tat scheint sich das Trio hinterm Tresen bei Großmama eine dicke Scheibe Arbeitsmoral abgeschnitten zu haben. Der kleine Altbau an der Königsbrücker ist ein echtes Heimwerkerprojekt, indem ganzes Herzblut steckt. Über eineinhalb Jahre wühlten sich die drei durch Haushaltsauflösungen und alte Kneipenbestände und rissen für ihren Bühnentraum auch schon mal eigenhändig Mauern nieder. Herausgekommen ist Wohnzimmeratmosphäre im Stil der Ost-Sechziger. In der Brutkastenbeleuchtung der alten Blechlampen wirkt die braune Tapete noch ein bisschen biederer, und wer bierseelig an einem der funktionalen Kohleöfen einnickt, muss sich wahrscheinlich nicht nur fragen, wo, sondern wann ereigentlich aufgewacht ist. Vom Ping-Pong-Automaten bis zum saftiggrünen Fettgewächs ist alles echt. Das Ganze hat mit verklärter DDR-Romantik allerdings wenig zu tun, wie Jörg T. erzählt. „An vielen Dingen hängen persönliche Geschichten, auch traurige. Die Meisten, die diese Zeit miterlebt haben, sind froh, das ganze Zeug endlich loszuwerden.“ – Wohnkultur statt Diktatur. Weil das so subversiv ist, werden hier auch keine Namen genannt, und überhaupt wollen die Jungs den Club besser für sich sprechen lassen.

Fakt ist, dass aus einer solchen Konzeptkneipe schnell eine Touristenfalle werden kann. Dem soll mit moderaten Bierpreisen und einem musikalischen Programm entgegengewirkt werden, das Fans der Pfundsmolkerei sicher nicht schmeckt. Unter dem groben Überbau-Indie tummeln sich experimentelle Projekte aus den Staaten, Schweden, Polen, Dresden und der ganzen Welt. „Mittlerweile bekommen wir genug Anfragen, um uns unsere Bands auszusuchen“, erklärt Eric T. Und das tun sie auch. Unabhängig vom momentanen Siegeszug elektronischer Musik spielt, wer ihnen gefällt, also lassen sie sich auch von berühmten Hamburger Pommesverkäufern nicht ins Konzept reden. „Manchmal kommen wir an einem Abend knapp über Null  raus, aber die meisten Bands sind gerne hier und verzichten auch schon mal auf einen Teil ihrer Gage.“ Die familiäre Stimmung schwappt tatsächlich auf viele Künstler über, und so sitzt ein Großteil nach getaner Arbeit lieber an der Theke als im einsamen Backstage. Wer sich zwischen Jutesäcken und Hornbrillen wohlfühlt und beim Duft von frisch gepresstem Vinyl weiche Knie bekommt, ist hier goldrichtig. Schließlich stellt sich der kleine Betrieb auf jeden Fall gegen den Trend, die Ausgehressourcen der Neustadt unter einigen wenigen aufzuteilen. „Seid ihr also die wahren Sozialisten?“ Darüber lacht jetzt auch Rico R. „Die wahren Idealisten vielleicht. Denn bevor wir hier jedes Wochenende Technopartys veranstalten müssen, brennen wir den Laden lieber nieder.

2010/04/24

Das Innerste nach Außen 

Mit „Zeit des Zorns“ zerrt   Raffi Pitts den Hass in die Welt

 Ali legt sein Gewehr an und zielt. Der Lauf ist direkt auf den Zuschauer gerichtet. Er drückt den Abzug.

Der Schuss hallt durch die nebligen Wälder nördlich von Teheran und hinterlässt ein dumpfes Dröhnen, dass sich bis zum Ende des Films nicht mehr legen will. Ali ist gerade aus dem Gefängnis entlassen worden. Mit seiner Frau Sara (Mitra Hajjar) und einem kleinen Mädchen, lebt er in einem tristen Apartment im Schatten grauer Betonpfeiler. Wie Gedankenfetzen blitzen einige glückliche Familienerlebnisse auf, bis sein Zuhause eines Abends leer bleibt. Von da an entwickeln sich die Ereignisse so zwingend und mechanisch, wie die Nachtschichten, die Ali in einer Fabrik arbeitet. Nach stundenlangem Warten im Polizeirevier wird ihm mitgeteilt, dass er gekommen ist um die Leiche von Sara zu identifizieren, die am Rande einer Demonstration erschossen wurde. Er macht sich auf die Suche nach seiner Tochter, um auch sie schließlich im Neonlicht der Gerichtmedizin zu finden. In Anblick der gnadenlosen Tatsachen wird Ali zum Jäger, positioniert sich und erschießt zwei Polizisten. Bis dahin erzählt Raffi Pitts seine Geschichte mit einer eiskalten Bildgewalt, die die bedrückende Einsamkeit des Einzelnen  vor der  politischer Realität ins Bewusstsein des Zuschauers presst. Jede Einstellung wirkt wie eine komponierte Fotografie, in der die wortkargen Schauspieler als reine Statisten funktionieren. Der Britisch-Iraner, der spontan selbst die Hauptrolle übernehmen musste, inszeniert mit seinen puristischen Landschaften, die Innenwelt eines Charakters, dem er als Schauspieler keinen Ausdruck zu verleihen mag. Als Ali in die Wälder flieht, stellen ihn zwei Polizisten, zwischen denen ein Streit um Autorität und Verrat entbrennt. In der Intimität der Handlung verliert sich schließlich die Spannung des Films, der ansonsten eindrucksvoll beschreibt, wie unser Innerstes das Aussehen unser Welt bestimmt.  

In: ad rem  14/4/10

Kollektiv.Schaden“ und was dabei kaputt gehen kann

Ein Jahr mit Zeitgeist.Kollektiv: Illegale Partys und der Weg in die Clubs  


„Das Einzige, was wir von Anfang an wollten, war eine Party, die wir selbst gern feiern würden.“

 

Minus 12 Grad herrschen auf dem alten Werksgelände. Die eisigen Temperaturen drängen die Menschentraube dichter zusammen, die sich vor dem Eingang des „Sektor (E)volution“ gebildet hat. Wie ein lebender Organismus spuckt der Club jedes mal eine dichte Dampfwolke in die Nacht, wenn sich die Pforten für kurze Zeit öffnen. Obwohl es erst zwölf ist stockt der Einlass. Das Innere ist  gefüllt mit euphorischen, fiebrigen Gesichtern und gleißendem Stroboskoblicht. Über zwei Dancefloors fließen minimalistische Beats und bringen die Glieder zum zucken.

 Jonas H. sitzt etwas abseits der Tanzenden in einem bequemen Sessel und grinst zufrieden. Er ist Philosophiestudent an der TU Dresden im dritten Semester und gehört zum engeren Kern des „Zeitgeist.Kollektiv“s, das seit 2009 Technoevents in Dresden organisiert. Sie zählen knapp 12000 Klicks auf der Internetplattform myspace, besitzen eine eigene Sound- und Lichtanlage und können auf fünf Partys in einem Jahr und mindestens doppelt so viele unter der Schirmherrschaft des befreundeten Dj-Teams „Schwarzweiss Musik“zurückblicken. Mit dem heutigen Abend werden 600 bis 700 Leute den momentanen Höhepunkt eines Phänomens begehen.

Dabei begann alles im kleinen Rahmen. „Das Einzige, was wir von Anfang an wollten, war eine Party, die wir selbst gern feiern würden“, erzählt Jonas. Das waren vor einem Jahr fünfzig Freunde, ein Dieselgenerator und warmes Bier auf Sackkarren. Im Prießnitzgrund, nahe der Neustadt, wird ungefragt unter freiem Himmel getanzt bis die Polizei am nächsten Mittag die Musikanlage abstellt. „Von da an ist die Sache dann immer größer geworden“, erinnert sich Jonas, „wir haben versucht unser Spektrum zu erweitern“. Im Tharandter Wald werden Flächen gemietet und professionelle Flyer gedruckt. Die Nacht kostet zum ersten Mal Eintritt, der sofort in das nächste Projekt investiert wird. „Mit „Zeitgeist.Art“, im „AZ Conni“ wollten wir jungen Künstlern die Chance geben ihre Sachen vor Publikum auszustellen.“ Die finanziellen Mittel aus Eintritt und Getränkeverkauf ebnen den Weg in die Clubs. Etwas gehetzt schaut Jonas zum Ausgang. „Ich muss gleich weiter, am Einlass fehlt jemand.“ „Rich & Jorge“ drehen gerade die Bässe so weit herunter bis die Sounds im Jubel untergehen. Die Energie wird plastisch greifbar als die Dj’s die Regler wieder aufreißen und die Menge völlig ausrastet. Innerhalb eines Jahres hat das Kollektiv seine Wirkung bis zur Schmerzgrenze potenziert. Die Beats sind lauter, die Lichter bunter und das Publikum ersetzt den Freundeskreis. Aus der kleinen Gegenkultur ist ein Kosmos aus genialer Musik und gnadenlosem Hedonismus geworden. Dem Zeitgeist kann man eben schwer entkommen. Ist auf dem Weg etwas kaputt gegangen?. „Kollektiv.Schaden ist unser größtes und letztes Projekt vor einer längeren Pause“, beendet Jonas etwas nachdenklich unser Gespräch, „man muss schon aufpassen wie sich die Dinge entwickeln. Deshalb gibt’s es glaube ich im Sommer  auch wieder Partys im Wald.“             

In: ad rem  3/3/10

   Schweißarbeit - Leipziger




erschienen in: Sächsische Zeitung 2/10/10